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AND-Mitgliederversammlung: Podiumsdiskussion zur Gesundheitspolitik der Großen Koalition

Am 29. März 2014 fand in Berlin die Jahresmitgliederversammlung des AND statt. Höhepunkt war eine Podiumsdiskussion über den Koalitionsvertrag und den Ausblick auf die Gesundheitspolitik der Großen Koalition, an der Axel Neumann (BAO), Elmar Mertens (BDA), Jörg Karst (BDA und AND) und Roberto Castello (AND) teilnahmen. Die Diskussion wurde moderiert von Hubert Kümper (Agentur JP KOM).

Elmar Mertens erinnerte daran, dass bei Regierungsbildungen häufig etwas anderes herauskommt als man zunächst erwartet hatte: „Ulla Schmidt etwa wurde vor Beginn ihrer Arbeit heftig angefeindet, aber im Nachhinein haben wir Vertragsärzte unter ihr mehr denn je seit der Ära Blüm an Honorar zugelegt.“ Als negativ bewertete Mertens die fortwährenden Angriffe auf die ärztliche Freiberuflichkeit und die geplante Änderung der Finanzierungsgrundlage der GKV, die dem System insgesamt Geld entziehe. Auch für die politisch gewollte Verlagerung von Leistungen von stationär nach ambulant gebe es keine Konzepte. „Aber immerhin ist die Bürgerversicherung vom Tisch.“ Die vieldiskutierte Termingarantie bei Fachärzten betrifft nach Mertens Einschätzung vorrangig die Operateure und weniger die Anästhesisten. Diese müssten vielmehr die geplante Änderung des Strafgesetzbuches im Auge behalten, damit sie sich bei der Zuweisung von Patienten nicht dem Vorwurf der Vorteilsgewährung aussetzen.

Roberto Castello kritisierte, dass trotz aller Bemühungen um einen neuen PKV-Abrechnungskatalog die Ansätze für eine GOÄ-Reform im Vagen blieben und wenig Gutes aus einer Rahmenvereinbarung, die seit November 2013 vorliegt, herauszulesen sei. „Vielmehr wollen die privaten Krankenversicherer, Beihilfeträger und Bundesärztekammer eine GOÄ-Kommission gründen, die ‚unerwünschte Mengenentwicklungen’ bremsen soll. Stehen uns hier etwa künftig auch in der PKV ein Globalbudget und Mengenbegrenzung ins Haus?“ Nichtsdestotrotz berge die GOÄ-Reform auch die Chance, längst überholte Leistungsziffern wie etwa die „Rauschnarkose“ endlich über Bord zu werfen und eine Bewertung zu etablieren, die die vollumfänglichen Interventionsnotwendigkeiten zur qualifizierten Sicherung der Vitalfunktionen angemessen berücksichtigt.

Jörg Karst hob auf die Qualitätsansprüche ab, die sich der neue Bundesgesundheitsminister auf die Fahnen geschrieben hat. „Was die Strukturqualität angeht, haben wir mit den DGAI-Mindestanforderungen an einen anästhesiologischen Arbeitsplatz von 2012 bereits definiert, was Qualität ausmacht. Mit diesen Anforderungen können wir auch gegenüber der KBV und der Bundesärztekammer nachweisen, dass Qualitätsstrukturen Geld kosten.“ Die Prozessqualität der anästhesiologischen Arbeit werde bereits durch Qualitätszirkel und Peer Visits sichergestellt. „Was genau wiederum Ergebnisqualität in der Anästhesie ist, wurde bislang von niemandem definiert – und es ist auch fraglich, ob dies sinnvoll und möglich ist“, sagte Karst. Er erinnerte daran, dass Qualität auch für die Suche nach einem Praxisnachfolger ein wichtiges Kriterium ist und schloss: „Wir niedergelassenen Anästhesisten leisten täglich hochverantwortungsvolle Arbeit in hoher Qualität. Wir können beim Operieren als Gatekeeper fungieren und überflüssige Doppeluntersuchungen vermeiden. Hierfür müssen wir aber unser eigenes Profil schärfen!“

Axel Neumann war in Bezug auf die neue GOÄ eher pessimistisch: „Ich glaube nicht, dass die Reform in dieser Legislaturperiode abgeschlossen wird. Vielleicht stehen einzelnen Leistungslegenden schon fest, doch das dafür erforderliche Geld ist nicht definiert.“ Neumann brachte auch den im Februar 2014 veröffentlichten AOP-Krankenhausreport 2014 ins Spiel, in dem unter anderem von 19.000 Todesfällen durch Behandlungsfehler in Deutschland pro Jahr die Rede ist. „Ob die Zahlen nun korrekt sind oder nicht – auf jeden Fall ist in jedem Winkel der Republik die Botschaft angekommen, dass Chirurgen schlecht operieren und dass eine Operation sehr gefährlich ist.“ Der BAO steuere unter anderem durch die Veröffentlichung der Ergebnisse von Patientenbefragungen nach ambulanten Eingriffen (AQS1) dagegen. „Alle Krankenkassen unterhalten inzwischen wissenschaftliche Institute, da müssen wir dagegenhalten!“ Beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), der in den Tagen zuvor ebenfalls in Berlin stattgefunden hatte, habe Neumann eine große Hilflosigkeit angesichts der allgegenwärtigen Anfeindungen – Stichwort „unnötige Operationen“ – gespürt: „Sie als Anästhesisten bleiben hierbei unbeschädigt, denn Sie narkotisieren ja nicht ohne Indikation. Sie sollten daher mit breiter Schulter dafür eintreten, dass Anästhesie als Synonym für Patientensicherheit wahrgenommen wird.“

Auf die Frage, welches konstruktive Angebot man der Politik denn machen könne, antwortete Roberto Castello, Anästhesisten könnten dazu beitragen, das Gesundheitssystem zukunftssicher zu machen. Innovative Versorgungsangebote, die die bislang wenig beachteten Belange von beispielsweise hochbetagten allein lebenden Patienten, Behinderten und Patienten aus Pflegeeinrichtungen besser berücksichtigten, seien denkbar. „Wir können im Rahmen eines präoperativen Screenings entscheiden, ob ein Patient geeignet für das Ambulante Operieren ist oder nicht.“ Und Jörg Karst bekräftigte: „Wir sind die entscheidende Schnittstelle für Patientensicherheit!“ Axel Neumann forderte die Anästhesisten in diesem Zusammenhang auf, sich gemeinsam mit den Operateuren im Institut für Patientensicherheit einzubringen, „das ist auf diesem Gebiet immerhin das am weitesten entwickelte Institut!“ Elmar Mertens erinnerte an die Verantwortung für den fachärztlichen Nachwuchs: „Wir haben im BDA eine gezielte Weiterbildungs-Kampagne gestartet, inklusive Materialien für Frauen, die oft Angst vor Arbeitsverboten in der Anästhesie haben – Stichworte Mutterschutz und Umgang mit schwangeren Anästhesistinnen. Schließlich gibt es keine evidenzbasierten Belege dafür, dass Schwangere sich nicht im OP aufhalten dürfen.“ Und Neumann bekräftigte: „Wir können junge Ärzte trotz aller Widrigkeiten sehr wohl für die Freiberuflichkeit begeistern. Sie bietet immerhin hohe Freiheitsgrade, die ein Klinikarzt nicht kennt – wenn ich meinen Laden im Griff habe, dann kann ich um 17 Uhr nach Hause gehen. Abgesehen vom wirtschaftlichen Ärger ist die Arbeit als Niedergelassener doch eine sehr befriedigende Tätigkeit.“